Daniel Günther im Interview mit der FAZ vom 3. Mai 2024

03.05.2024

FAZ: Die CDU gibt sich in wenigen Tagen ein neues Grundsatzprogramm - mit einer Renaissance der „Leitkultur“, einer Kehrtwende in der Migrationspolitik, mit Atomkraft und betont wirtschaftsliberalem Kurs. Stimmt die Richtung?

Daniel Günther: Ja, absolut. Das Programm lebt davon, dass man sehr schnell Grundsätze und klare Positionierungen erkennt. Zudem werden deutliche Schwerpunkte gesetzt, etwa, wenn es um den Erhalt von Wohlstand geht. Beim Thema Migrationspolitik zeigen die Erfolge auf EU-Ebene, dass auch durchsetzbar ist, was wir als Union fordern. Und mit dem Begriff Leitkultur hatte ich noch nie Probleme.


FAZ: Ist das Grundsatzprogramm eine Art Krönungsdokument für die Kanzlerkandidatur von Friedrich Merz?

Daniel Günther: Es zeigt auf jeden Fall, dass er die Partei gut führt. Das respektieren alle in der Union, unabhängig davon, wie sie früher zu ihm gestanden haben. Ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht, dass ich früher andere bei der Kandidatur für den CDU-Vorsitz unterstützt habe. Aber Friedrich Merz macht das gut. Er ist ein starker Partei- und Fraktionsvorsitzender. Das drückt sich auch in diesem Grundsatzprogramm aus. Zur Frage der Kanzlerkandidatur haben wir alle miteinander verabredet, dass wir darüber sprechen, wenn die Landtagswahlen im Herbst vorbei sind.


FAZ: Ist das neue Programm eine Antwort auf die Merkel-Ära oder eine Antwort auf die AfD? Oder beides?

Daniel Günhter: Das ist keine Antwort auf irgendetwas von beidem, sondern eine Standortbestimmung der Union angesichts einer insgesamt veränderten Lage. Man kann auch nicht von einem Kurswechsel sprechen oder davon, dass eine Ära zu Ende geht. Das Programm gibt Antworten für die Gegenwart. Es liegt in der Natur der Sache, dass es in einem neuen Grundsatzprogramm Neupositionierungen gibt. Es ist ausgewogen und zeigt eine Partei, die in der Mitte verortet ist. Auch die unterschiedlichen Flügel der Partei können sich darin wiederfinden. Insofern ist der Entwurf extrem gelungen und ich bin mir sicher, dass die Debatten auf dem Parteitag das Programm an der einen oder anderen Stelle noch etwas akzentuieren werden.

 

FAZ: Die CDU in Schleswig-Holstein ist der erste Landesverband, der die Wiedereinführung der Wehrpflicht fordert. Die Bundes-CDU ist da vorsichtiger. Warum?

Daniel Günther: Wir als Nord-Union sind überzeugt, dass eine Wiedereinsetzung notwendig ist. Ich werbe dafür, dass der Bundesverband diese Haltung übernimmt. Wir haben uns als Landesverband schon 2018 für eine Dienstpflicht ausgesprochen, das ist seit 2022 auch Position der Bundespartei. Auf dem Weg zu einer solchen Dienstpflicht wäre die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht ein richtiger Zwischenschritt. Derzeit ist die Bundeswehr noch nicht darauf vorbereitet. Aber wenn man von einer Zeitenwende spricht, müssen wir uns neben der besseren Ausstattung auch mit der Frage der Rekrutierung von mehr Menschen auseinandersetzen. Dafür ist die Wehrpflicht der richtige Schlüssel.


FAZ: Ihr Koalitionspartner, die Grünen, ist beim Thema Verteidigung auf einer Linie mit der CDU. Wer hätte das vor drei, vier Jahren gedacht?

Daniel Günther: Diese Übereinstimmung ist einer der Gründe, warum man aus meiner Sicht sehr gut mit den Grünen zusammenarbeiten kann. Weil sie sich hier nicht von der Realität abkoppeln, sondern bereit sind, auch Parteipositionen zu korrigieren, wenn sich die Lage verändert hat. Die Grünen sind die treibende Kraft innerhalb der Bundesregierung, die Bundeswehr vernünftig auszustatten und die Ukraine stärker zu unterstützen.

 

FAZ: Boris Rhein hat sich für eine „Koalition der Mitte“ im Bund ausgesprochen – mit der SPD wie in Hessen. Sie hatten die Grünen einmal als Modernisierungshilfe für die CDU beschrieben. Gilt das noch? Ist die Zeit von Schwarz-Grün vorbei?

Daniel Günther: Die Grünen haben in der Öffentlichkeit und insbesondere im bürgerlichen Klientel in den letzten anderthalb Jahren Kredit verspielt. Der Streit in der Ampel lastet auch auf ihnen, sie haben zu kämpfen derzeit. Aber sie sind auf Landes-, aber auch auf Bundesebene ein Koalitionspartner, mit denen die Union sehr gut regieren kann.


FAZ: Was stört Sie an der SPD?

Daniel Günther: Die SPD ist die Partei, die am meisten Schwierigkeiten hat, sich an die Realitäten anzupassen. Etwa wenn es um die Unterstützung der Bundeswehr und die Sicherheitspolitik geht. Da bremst die SPD innerhalb der Koalition von Grünen und FDP. Ein gemeinsames Sicherheitsprogramm zwischen CDU und Grünen auf Bundesebene zu formulieren, stelle ich mir dagegen nicht besonders schwierig vor. Mit der SPD aber schon.


FAZ: Auch mit Boris Pistorius? Markus Söder hat ihn der SPD als Kanzlerkandidaten empfohlen, sieht ihn allerdings nach der Bundestagswahl als Juniorpartner der Union. Ein guter Vorschlag?

Daniel Günther: Markus Söder macht so viele Vorschläge, ich tue mich schwer damit, sie alle zu bewerten. Seine Positionierung kann ja morgen auch wieder eine völlig andere sein. Das würde ich nicht überbewerten.


FAZ: In der Klimaschutzpolitik hat die Skepsis der Bevölkerung angesichts der Politik der Ampelkoalition zugenommen. Liegt das an den Grünen?

Daniel Günther: Die Grünen haben einen erheblichen Teil der Fehler gemacht, die zu dieser veränderten Stimmungslage geführt haben. In Zeiten, in denen es uns wirtschaftlich schlechter geht, spielt das Thema Klimaschutz bei den Leuten eine geringere Rolle. Aber es gibt keinerlei wissenschaftlichen Zweifel daran, dass wir Klimaziele einhalten müssen - in unserem ureigensten Interesse. Daher ist es ein sehr, sehr schwerer Fehler, dass auch durch grüne Beteiligung in der Bundesregierung viele Menschen sich überfordert gefühlt haben. Etwa durch das Heizungsgesetz. Das hat auch in Schleswig-Holstein dazu geführt, dass viele Menschen Angst vor diesen Veränderungen bekommen haben. Da haben die Grünen viel zu sehr auf ihre eigene Klientel geachtet. Das war insofern erfolgreich, als die Grünen ihre Kernklientel nicht verloren haben – im Unterschied zu SPD und FDP. Aber die Grünen haben die Anschlussfähigkeit zu anderen Parteien und die Wechselwähler verloren. Die Begeisterung für Schwarz-Grün hat bei einigen ziemlich gelitten. Das hat dem Klimaschutz in unserem Land nicht geholfen.

 

FAZ: Um gegen die AfD anzukommen, versucht es die CDU in Mecklenburg-Vorpommern mit einer sehr konservativen Ausrichtung in der Migrationspolitik. Ist das der richtige Weg?

Daniel Günther: Wir in Schleswig-Holstein adressieren diese Themen deutlich, aber versuchen nicht, die politische Konkurrenz von Rechtsaußen in Sprache und Dramatik zu übertreffen. Die Probleme im Migrationsbereich müssen gelöst werden, es braucht wirklich eine Veränderung. Die Anzahl der Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ist so hoch, dass die Integration nicht mehr gut funktioniert und wir keine Kapazitäten mehr bereitstellen können. Deswegen befürworte ich auch weiterhin die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz, auf europäischer Ebene eine Drittstaatenregelung einzuführen, Kontrollen und Asylverfahren auch an Außengrenzen, die Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Es ist für den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land wichtig, dass wir die Zuwanderung steuern und begrenzen. Gleichzeitig müssen wir uns grundsätzlich zu einer humanitären Flüchtlingspolitik bekennen. Und wir müssen ausstrahlen, dass es uns wichtig ist, dass Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, bei uns willkommen sind. Ohne den Zuzug von Menschen, die auf dem Fluchtweg oder im Rahmen der Fach- und Arbeitskräftezuwanderung zu uns gekommen sind, hätten wir auch in Schleswig-Holstein schon erhebliche Wohlstandsverluste. Denn wir sind in vielen Branchen auf diese Menschen angewiesen. Das wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. Deswegen müssen wir aufpassen, dass diese Diskussion damit einhergeht, dass Menschen auch weiterhin bei uns willkommen sind.


FAZ: Einer neuen Prognose zufolge fehlen allein Schleswig-Holstein bis 2035 rund 330.000 Arbeitskräfte. Woher sollen die kommen?

Daniel Günther: Wir sind in Deutschland bei der Fachkräftezuwanderung immer noch zu kompliziert und bürokratisch. Es dauert alles zu lange. Aber wir werden diese Menschen brauchen, um unseren Wohlstand zu erhalten. Diesen positiveren Akzent beim Anwerben von Arbeitskräften müssen wir auch im CDU-Parteiprogramm noch stärker setzen. Wir müssen da auch noch über das hinausgehen, was die Ampelkoalition bislang beschlossen hat.

 

FAZ: Nach Deutschland sollen Flüchtlinge nur noch durch „humanitäre Kontingente“ kommen, wenn es nach der CDU geht. Friedrich Merz sagte, das sollten nicht mehr als 100.000 Flüchtlinge sein. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer spricht sich für weniger aus. Und Sie?

Daniel Günther: Wir müssen bei Zahlen immer davon ausgehen, was wir aus Erfahrungen als leistbar beziffern können. Die aktuellen Zahlen können wir jedenfalls dauerhaft nicht tragen. Von dieser Zahl müssen wir deutlich runterkommen. Andernfalls überfordern wir unsere Infrastruktur, auch eine vernünftige Integration in unseren Bildungseinrichtungen wird sonst unmöglich.

 

FAZ: Die CDU ringt weiter um ihre Haltung zum Islam. Im Entwurf für das Grundsatzprogramm hatte es erst geheißen: Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland. Jetzt steht da: Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland. Welcher Satz ist Ihnen lieber?

Daniel Günther: Der neue Satz kommt meinen Vorstellungen näher. Ich fand die Ursprungsformulierung ausgrenzend, weil sie sich gegen einzelne Menschen richtet. Jetzt hat man sich darauf verständigt, dass man über die Religion spricht, auch über eine Auslegung von Religion. Wenn Religion dafür missbraucht wird, unseren gesellschaftlichen Werten und Gesetzen zu widersprechen, dann ist es legitim zu sagen, dass das nicht zu unserem freiheitlichen Land passt. Ich finde es auch legitim, dass man mit Begriffen wie Leitkultur deutlich macht, dass es einfach bestimmte Wertvorstellungen in unserem Land gibt. Und dass man – wenn man diese Werte nicht teilt - nicht zu unserem Land passt. Ganz unabhängig ob zugewandert oder nicht. Wenn Menschen offen antisemitisch sind, muss uns das auch aufgrund unserer Historie im Mark erschüttern. Es gehört sich für eine Christlich Demokratische Union, das entsprechend klar zu adressieren.


FAZ: Zeigt nicht die Demonstration in Hamburg von islamistischen Aktivisten am vergangenen Wochenende, dass die Politik zu spät kommt?

Daniel Günther: Wir müssen gegen Islamisten so konsequent wie möglich vorgehen. Als nach dem 7. Oktober derlei Demonstrationen in Schleswig-Holstein angemeldet worden sind, haben wir alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um sie zu verhindern. Wir haben einen speziellen Erlass für die kommunalen Versammlungsbehörden herausgegeben, damit sie eine Handhabe dafür haben, Veranstaltungen, bei denen antisemitische Hetze zu befürchten war, zu untersagen. Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber die Politik muss hier maximal deutlich machen, dass solche Demonstrationen in unserem Land, soweit es rechtlich zulässig ist, zu unterbinden sind.


FAZ: In ostdeutschen Bundesländern führt die AfD in Umfragen. Stellen Sie sich darauf ein, Ende des Jahres einem Ministerpräsidenten der AfD gegenüberzusitzen?

Daniel Günther: Nein. Die Wählerinnen und Wähler werden das verhindern.


FAZ: Seit zehn Jahren wird die AfD aber eher stärker als schwächer.

Daniel Günther: Zum einen gehen deren Werte ja auch schon runter. Zum anderen erwarten viele Menschen von uns gerade beim Thema Migrationspolitik weniger Ankündigung, sondern Umsetzung in der Sache. Dass Politik die Dinge, die die Menschen bewegen, wirkungsvoll löst, ist das Allheilmittel gegen Extremisten. Es wird uns nicht gelingen, der AfD in der Sprache den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die werden die Dinge immer viel dramatischer adressieren als wir. Wir müssen diejenigen sein, die die Probleme lösen. In der Migrationspolitik ist mittlerweile allen klar, dass da etwas verändert werden muss.


FAZ: Haben das alle Parteien verstanden, auch die Grünen?

Daniel Günther: Schauen Sie sich die Wahlplakate der Grünen zur Europawahl an, da steht: „Für Menschenrechte und Ordnung.“ Allen demokratischen Parteien ist klar, dass, wenn wir den gesellschaftlichen Frieden erhalten wollen, eine Lösung der Migrationsprobleme eine zentrale Rolle spielt. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wie man radikale Parteien wählen kann. Aber die Probleme sind für diese Parteien der Nährboden. Deswegen müssen wir sie lösen.


FAZ: Die CDU lehnt eine Kooperation mit der AfD ab, aber auch mit der Linkspartei. Wie soll ein Land wie Thüringen dann demnächst noch regierbar sein?

Daniel Günther: Wir machen keine gemeinsame Sache mit der AfD, weder in Personal- noch in Sachfragen. Da sind wir als CDU Schleswig-Holstein absolut konsequent. Aber: Linke und AfD kann man nicht miteinander gleichsetzen. Ich habe es schon öfter gesagt: Es gibt keine Äquidistanz zur Linkspartei und zur AfD und Bodo Ramelow ist keine Gefahr für die Demokratie. Er ist ein kluger Mensch, den ich schätze und der in der Ministerpräsidentenkonferenz mit allen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeitet. Wir haben dezidiert unterschiedliche Auffassungen zu vielen Themen und die Distanz zwischen CDU und Linkspartei ist extrem groß, ohne Zweifel, und ich würde keine Koalition mit der Linken anstreben. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man jemanden wie Björn Höcke als Spitzenkandidaten hat und eine Partei, die vom Verfassungsschutz in Thüringen und zwei weiteren Ländern als gesichert rechtsextrem beurteilt wird, oder eine Partei, die seit vielen Jahren den amtierenden Ministerpräsidenten stellt. Sicher stelle ich mir politisch – wie auch die CDU Thüringen – andere Weichenstellungen für Thüringen vor, aber: Weder wurde die Demokratie in Thüringen in den vergangenen zehn Jahren abgeschafft, noch war sie gefährdet. Das ist mit der AfD jetzt anders.


Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/daniel-guenther-bodo-ramelow-ist-keine-gefahr-fuer-die-demokratie-19693544.html